Kübra Gümüşay ist Autorin des Bestsellers Sprache & Sein sowie Initiatorin zahlreicher Kampagnen und Vereine – u. a. des feministischen Co-Creation Spaces eeden in Hamburg, der 2019 von der Bundesregierung im Rahmen der Kultur- und Kreativpilot:innen Deutschland ausgezeichnet wurde, oder der feministischen Research- und Advocacy-Organisation future_s. Ihr Blog ein-fremdwoerterbuch.com wurde 2011 für den Grimme Online Award nominiert. Das Magazin Forbes zählte sie 2018 zu den Top 30 unter 30 in Europa. 2021 war sie Stipendiatin der Deutschen Kulturstiftung Tarabya. 2022/23 ist sie Senior Fellow der Mercator Stiftung und befasst sich am Centre for Research in the Arts, Humanities and Social Sciences (CRASSH), am Leverhulme Centre for the Future of Intelligence sowie als Visiting Fellow des Jesus College an der University of Cambridge mit alternativen Zukünften und realen Utopien.
Interview mit Jurymitglied Kübra Gümüşay
Ein tatsächliches Gespräch beginnt bei dem Bewusstsein für die Begrenztheit der eigenen Perspektive. Dass wir aufeinander angewiesen sind. Sprechen, ins Gespräch kommen bedeutet auch, dass wir im Grunde permanent Übersetzungsleistungen vollbringen müssen. Nicht nur von einer Sprache in die andere. Auch die eigene Wahrnehmung und die eigene Perspektive in Sprache zu übersetzen und sich verständlich zu machen, kann ein großer Kraftakt sein. Viele Missverständnisse auf persönlicher aber auch auf gesellschaftlicher und politischer Ebene rühren daher, dass man die eigene Perspektive verabsolutiert und glaubt, alle anderen müssten es genauso sehen. Oder sich dieser Perspektive unterordnen, standardisieren und zur Norm erklären. In einer pluralen Gesellschaft, in einer Demokratie, in einer Gesellschaft, die auf Menschenrechte und Vielfalt setzt, ist das Bewusstsein über die eigene Begrenztheit der wichtigste Schritt für Verständigung.
Sich der Begrenztheit der eigenen Perspektive bewusst zu werden, braucht kein Reisen, braucht nicht einmal andere Menschen. Es kann schon reichen, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, in seine Umgebung zu blicken und zu bemerken, wie viel man noch nicht begriffen und ergründet hat, und wie begrenzt die eigenen Fähigkeiten sind, um Dinge zu erfassen. Aber natürlich hilft es, in andere Kontexte oder Länder zu reisen, sich mit Menschen zu unterhalten, die andere Lebensstile pflegen, um sich dessen bewusst zu werden – aber das braucht es nicht zwingend.
Sprache ist ein Werkzeug. Sie ist so stark und schwach, so arm und reich, so vorurteilsbeladen oder so offen und frei wie die Menschen es sind, die sie benutzen und prägen. Keine Sprache der Welt umfasst die ganze Welt in ihrer Komplexität. Alle Sprachen erfassen nur so viel, wie die Menschen in der jeweiligen Sprache Macht und Herrschaft besitzen. Es ist also an uns, an der Architektur der Sprache zu arbeiten und sie auszuweiten, damit möglichst viele Menschen in ihr „sein“ können. Das ist die Herausforderung, die uns ein Leben lang begleitet. Wittgenstein würde ich also auf jeden Fall zustimmen (lacht).
Interview mit Jurymitglied Kübra Gümüşay
Publizistin und Aktivistin Kübra Gümüşay spricht über ihre Teilnahme als Jurymitglied und erklärt, warum die Künste unsere Gesellschaft zusammenhalten.
The Power of the Arts ist ein Preis für Initiativen, die gesellschaftliche Herausforderungen auf Augenhöhe bewältigen wollen. Das ist – meines Erachtens – unabdinglich, um nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Deshalb bin ich sehr gerne in dieser Jury.
Die Werte einer Gesellschaft sind nicht in Stein gemeißelt. Sie sind wandelbar. Das erleben wir derzeit im hohen Tempo, was die Salonfähigkeit antisemitischer, anti-muslimischer, rassistischer und anderer diskriminierender Aussagen betrifft. Deshalb braucht es gerade jetzt einen besonderen Einsatz. Wir gestalten diese Gesellschaft mit – und werden nicht nur von ihr gestaltet. Für die Werte, die in dieser gelebt werden, sind wir alle mitverantwortlich. Alle.
Das neue „Wir“ sollte die Pluralität und das Facettenreichtum der Gesellschaft tatsächlich mitdenken und ansprechen. Damit werden Realitäten und Tatsachen geschaffen und Zugehörigkeit vorgelebt.
Künste haben Freiheiten und Spielräume, die andere Kommunikationsformen nicht innehaben. Und sie können die Herzen bewegen – selbst jener, die mit keinem Argument mehr zu erreichen sind.
In den letzten beiden Jahren beschäftigt mich insbesondere unsere Diskurskultur, unsere Sprachen und unser öffentliches Denken. Ich denke, dort ist viel Luft nach oben.