KulturistenHoch2 von Stiftung Generationen Zusammenhalt
Die Initiative bildet Tandems aus Senior:innen und Oberstufenschüler:innen, die gemeinsam Kulturveranstaltungen wie Ausstellungen, Theater- oder Opernaufführungen besuchen. Sie nutzt die verbindende Kraft von Kunst und Kultur, um den Kontakt zwischen Menschen verschiedener Milieus, Generationen und Kulturen zu initiieren und den Zusammenhalt in den Stadtteilen zu fördern. Mit dem Preis soll die Skalierung des Projekts auf weitere Stadtteile und Städte forciert werden.
„Die Initiative ermöglicht einen niederschwelligen Zugang zu Kultur und fördert generationsübergreifende Begegnungen. Ohne moralische Bewertung werden die Teilnehmer:innen in ihrem oftmals isolierten und einsamen Alltag abgeholt und Jugendliche ermutigt, unsere Gesellschaft aktiv mitzugestalten“, sagt die Jury.
Reportage über KulturistenHoch2.
Generationenzusammenhalt durch Kultur.
An einem Montagabend im Oktober steht ein ganz besonderes Treffen an: Die Seniorin Jutta Conrad und die Oberstufenschülerin Prochista Sarshar sind verabredet, um sich gemeinsam das Konzert des schwedischen Sängers José González in der Hamburger Laeiszhalle anzusehen. Conrad ist 70 plus, „mehr kann ich nicht verraten“, sagt sie. Was sie verbindet: eine Liebe zur Kultur und das Interesse an der jeweils anderen Generation.
Beide sind Teilnehmerinnen des Projekts KulturistenHoch2, einer Initiative, die es der wachsenden Anzahl wirtschaftlich und körperlich eingeschränkter Rentner:innen ermöglicht, kostenlos und mit der Unterstützung und Gesellschaft von Oberstufenschüler:innen, eine Kulturveranstaltung zu besuchen. Das Prinzip ist einfach. Um die 100 Kulturveranstalter in ganz Hamburg stellen Karten für Veranstaltungen zur Verfügung, darunter Konzerte, Museumsbesuche, Theaterstücke, Lesungen oder Opern. Die angemeldeten älteren Menschen werden kontaktiert und eingeladen, gleichzeitig werden die Oberstufenschüler:innen informiert, dass eine ältere Person aus ihrem Stadtteil eine Veranstaltung besuchen möchte. Wer Zeit und Lust hat, meldet sich und erhält die Kontaktdaten über KulturistenHoch2. Beide verabreden sich und besuchen dann gemeinsam die Kulturveranstaltung.
Zurzeit sind etwa 150 ältere Menschen aus 20 Stadtteilen angemeldet, sie müssen drei Voraussetzungen mitbringen: in Hamburg wohnen, über 63 Jahre alt sein und nicht mehr als 1.000 Euro Nettoeinkommen im Monat zur Verfügung haben. Gleichzeitig gibt es um die 150 Schüler, davon etwa 50% mit Migrationshintergrund, von neun teilnehmenden Schulen in 27 Hamburger Stadtteilen.
Jutta Conrad und Prochista Sarshar nehmen an diesem Abend nicht das erste Mal an einem der generationsübergreifenden Kulturerlebnisse teil. Beide haben schon mehrfach Veranstaltungen der KulturistenHoch2 besucht. Jutta Conrad ist über ein schwarzes Brett in ihrem Wohnblock auf das Angebot aufmerksam geworden. Prochista Sarshar kam über ihre Schule zu den KulturistenHoch2. Die Schülerin hat den Traum, Neuro- und Herzchirurgin zu werden. „Ich möchte diese Bindung zum Menschen haben, ich helfe anderen Menschen gern“, sagt sie. Sie sieht ihr soziales Engagement als eine gute Vorbereitung für den Berufswunsch. „Es ist bereichernd mit Menschen im Kontakt zu sein, die Interesse an Kultur haben, es sich aber eigentlich nicht leisten können, manche von ihnen sind einsam und haben niemanden. Es ist schön, dann mit ihnen rauszugehen und einen netten Abend zu verbringen.“
An dem Abend werden auch Kosten für die öffentlichen Verkehrsmittel, Garderobe und ein Pausengetränk übernommen. Ältere Menschen, die körperlich eingeschränkt oder gehbehindert sind, werden von ihrem jüngeren Begleiter abgeholt. In ihrem Wohnblock seien viele Bewohner auf einen Rollator oder Rollstuhl angewiesen, erklärt Jutta Conrad. „Die trauen sich nicht alleine irgendwo hinzugehen. Da ist dieser Service mit dem Abholen ganz großartig.“
„Auf einmal realisiert man, wie sich ältere Menschen in Situationen fühlen, die uns vielleicht ganz einfach erscheinen.“
Damit die Schüler:innen auf den gemeinsamen Ausflug gut vorbereitet sind, nehmen sie vor ihrem ersten Treffen an Workshops teil. Dort wird zum Beispiel geübt, wie man mit Rollstuhl und Rollator Stufen oder Bordsteine überwindet. “Hätten wir das Training nicht gehabt, dann wüsste ich gar nicht, wie ich mit so einer Situation richtig umgehe”, sagt Prochista Sarshar. Um sich in die Perspektive älterer Menschen einzufühlen, gibt es für die BetreuerInnen die Möglichkeit sich einen Alterssimulationsanzug anzuziehen, der die typischen Einschränkungen älterer Menschen erlebbar werden lässt. “Das war eine richtig gute Erfahrung“, bekräftigt Prochista Sarshar, „man hat auf einmal realisiert, wie sich ältere Menschen in Situationen fühlen, die uns vielleicht ganz einfach erscheinen.“
Bei einem Tee in einem Café gegenüber der Laeiszhalle treffen sich Jutta Conrad und Prochista Sarshar nun zum ersten Mal. Vorher haben sie per Mail einen Treffpunkt vereinbart. Beide wirken noch etwas zurückhaltend, aber neugierig und aufgeschlossen, die Andere kennenzulernen. Vor dem heutigen Konzert steht noch eine große Überraschung an: Die beiden haben die einmalige Möglichkeit, den international renommierten Musiker José González persönlich kennenzulernen. Die Seniorin Conrad ist ein wenig aufgeregt, doch sobald sie dem Sänger die Hand geschüttelt hat, blüht sie auf und unterhält sich mit ihm – in fließendem Englisch. Der Singer-Songwriter José González wird an diesem Abend vom experimentellen Orchester The String Theory begleitet, klassische Musik wird hier mit zeitgenössischem Folk-Pop vereint – beiden Besucherinnen gefällt das.
„Zu sehen, wie die Unternehmung den anderen glücklich macht, macht einen auch selbst glücklich.“
Nach fast zwei Stunden im neobarocken Konzerthaus, eindrucksvoller Lichtshow, intensiven Klängen und tosendem Applaus verlassen Jutta Conrad und Prochista Sarshar beseelt ihre Plätze. Manchmal bleibt nach dem gemeinsamen Besuch einer Kulturveranstaltung auch mehr. Sarshar erzählt: „Beim letzten Mal als ich mit einer älteren Dame unterwegs war, haben wir uns so gut verstanden, dass wir noch immer Kontakt halten. Ich finde es toll, wenn so etwas daraus entsteht. Zu sehen, wie die Unternehmung den anderen glücklich macht, macht einen auch selbst glücklich.“
„Ich wollte auf die verbindende Kraft von Kunst und Kultur setzen und wirtschaftlich eingeschränkten Menschen soziale und kulturelle Teilhabe ermöglichen.“
Gegründet wurden die KulturistenHoch2, ein Projekt der Stiftung Generationen-Zusammenhalt, von Christine Worch. Nach fast 30 Jahren in der Wirtschaft entschied sie sich, ihr Know-How künftig nur noch für soziale Projekte rund um Alter, Demenz oder soziale Not einzusetzen. Im Rahmen ihrer Arbeit mit dem Verein KulturLeben Hamburg e.V. fiel ihr auf, dass die älteren Menschen die kostenlosen Karten für kulturelle Veranstaltungen oft ausschlagen mussten, weil sie allein und vereinsamt, oft körperlich eingeschränkt, in ihren Wohnungen leben und niemanden mehr haben, der sie begleiten könnte. So entstand die Idee für KulturistenHoch2. „Ich wollte auf die verbindende Kraft von Kunst und Kultur setzen und wirtschaftlich eingeschränkten Menschen soziale und kulturelle Teilhabe ermöglichen. Die Kultur dient hier als Gelegenheit, den Kontakt zwischen den Generationen zu initiieren, Begegnung und Austausch zu fördern und den Zusammenhalt in den Stadtteilen zu festigen. Die jungen Menschen lernen durch das soziale Engagement, Verantwortung in der Gesellschaft zu übernehmen,“ erklärt Christine Worch.
Die Unterstützung durch den The Power of the Arts Award möchte Worch gezielt für die bundesweite Skalierung ihres Projektes einsetzen. Gemeinsam mit ihrem Team erarbeitet sie zurzeit ein Handbuch hierfür.